Klimaschutz aus der Natur: Durchbruch im Kampf gegen die Erderhitzung?
Schutz und Regeneration von Mooren, Wäldern, Mangroven und anderen Ökosystemen könnte riesige Mengen Kohlendioxid binden – zwei UN-Umweltgipfel weisen 2021 den Weg
Klimakrise und Artensterben gemeinsam zu bekämpfen – diese Idee gewinnt derzeit unter dem Schlagwort “Nature-based Solutions” mächtig an Fahrt. Nun bekommt das Konzept auch Rückendeckung von den sieben führenden Industrienationen (G7)
Die G7-Umwelt- und Klimaministerïnnen bekannten sich zum Abschluss ihres zweitägigen virtuellen Treffens am 21. Mai ausdrücklich zu ihrer Verantwortung, den Klimawandel und den anhaltenden Verlust von Biodiversität gemeinsam zu bekämpfen. "Während wir uns weiterhin mit der laufenden Pandemie befassen, erkennen wir mit großer Sorge an, dass die beispiellosen und voneinander abhängigen Krisen des Klimawandels und des Verlusts der biologischen Vielfalt zu einer existenziellen Bedrohung für Natur, Menschen, Wohlstand und Sicherheit werden", heißt es in der Abschlusserklärung. "Wir erkennen an, dass einige der wichtigsten Triebkräfte für den weltweiten Verlust der biologischen Vielfalt und den Klimawandel dieselben sind, die das Risiko von Zoonosen erhöhen, die zu Pandemien führen können."
Konkret verpflichten sich die G7-Staaten, sich beim Weltbiodiversitätsgipfel im Oktober im chinesischen Kunming für ehrgeizige Zielvorgaben einzusetzen, die Förderung herkömmlicher Kohlekraftwerke bis Jahresende zu beenden und Entwicklungsländer im Kampf gegen Naturzerstörung und Klimawandel zu unterstützen.
Naturschutz auf dem Klimagipfel
Bundesumweltministerin Svenja Schulze nannte es einen großen Fortschritt, dass sich alle großen Industrienationen dem ganzheitlichen Ansatz der Nature-based Solutions anschlössen. Die G7 könnten bei der Weltklimakonferenz im November in Glasgow und der Weltbiodiversitätskonferenz im Oktober im chinesischen Kunming nun als Vorreiter auftreten.
Die Natur ist unsere beste Verteidigungslinie im Kampf gegen den Klimawandel. (US-Klimabeauftragter John Kerry)
Die Minister bekannten sich auch zum Ziel je 30 Prozent der Land- und Meeresfläche bis 2030 unter Schutz zu stellen – global und national. Neu ist auch die Vereinbarung, die staatliche Finanzierung von herkömmlichen Kohlekraftwerken bis Ende dieses Jahres zu beenden.
Bereits einige Tage zuvor hatte der US-Klimabeauftragte John Kerry in Berlin ebenso wie die Präsidentin des UN-Klimagipfels in Glasgow, Patricia Espinosa, den Ansatz der Nature-based Solutions gelobt. „Die Natur ist unsere beste Verteidigungslinie im Kampf gegen den Klimawandel“, sagte Kerry.
Der Klimagipel in Glasgow und der Biodiversitätsgipfel im chinesischen Kunming in diesem Herbst böten eine einmalige Chance, die beiden Menschheitsprobleme entscheidend anzugehen, sagte der Klima-Sonderbeauftragte von US-Präsident Joe Biden.
Espinoza kündigte an, dass naturbasierte Lösungen im Zentrum der Glasgow-Verhandlungen stehen würden. Gemeinsam mit der Chefin der UN-Konvention für biologische Vielfalt, Elizabeth Maruma Mrema, kündigte sie an, dass beide UN-Organisationen in Zukunft noch enger zusammenarbeiten würden.
Was steckt hinter dem Schlagwort Nature-based Solutions?
Ziel ist es, Lebensräume zu schützen und wiederherzustellen, die zwei Eigenschaften zugleich haben: Sie brummen vor Leben, mit einer großen Vielfalt an Tier-, Pflanzen- und Pilzarten. Und sie speichern in großen Mengen Kohlenstoff oder können Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernen, wenn sie intakt sind oder zu neuem Leben erweckt werden.
Zu diesen Lebensräumen gehören Wälder, Moore, Mangroven und Seegraswiesen. “Die Rolle der Natur rückt beim Klimaschutz Stück für Stück stärker ins Zentrum”, sagt die Chefin der UN-Konvention zum Schutz von Feuchtgebieten, Martha Rojas Urrego.
Die zwei Umweltgipfel der Vereinten Nationen zum Klima- und zum Naturschutz, die nun Ende 2021 stattfinden sollen, waren eigentlich schon für 2020 geplant. Zuerst galt es als politisch gefährliche Verzögerung, sie wegen der pandemiebedingten Beschränkungen für Reisen und größere Zusammenkünfte zu verschieben.
Große Hoffnungen
Doch angesichts des Schubs, den die “naturbasierten Lösungen” gerade erleben, können die Vereinten Nationen den Verschiebungen nun sogar etwas Positives abgewinnen.
„Die durch die Covid-19-Krise verursachte einjährige Verzögerung bietet eine einmalige Gelegenheit, neue wissenschaftliche Fortschritte einzubringen, um die Verbindungen zwischen beiden Themen zu stärken“, erklärt das UN-Umweltprogramm nun. Auf Lösungen, die Artenkrise und das Problem der Erderwärmung gleichzeitig angehen, sind große Hoffnungen gerichtet.
Die Weltnaturschutzunion IUCN definiert Nature-based Solutions als “Maßnahmen zum Schutz, zur nachhaltigen Bewirtschaftung und zur Wiederherstellung natürlicher oder veränderter Ökosysteme, die den gesellschaftlichen Herausforderungen wirksam und anpassungsfähig begegnen und gleichzeitig dem menschlichen Wohlbefinden und der biologischen Vielfalt dienen."
Um die Klimaziele zu erreichen, müssen wir diese unwiederbringlichen Kohlenstoffpools schützen. (Allie Goldstein)
Ganz neu ist das Thema nicht: Schon beim Weltklimagipfel 1997 in Kyoto wurde darum gerungen, in welchem Ausmaß Aufforstung auf Klimaziele angerechnet werden kann. Landnutzung ist seither Bestandteil der Klimaschutz-Inventare der Staaten. Das Programm UN-REDD organisiert schon seit vielen Jahren Transaktionen, mit Waldschutz Klimapunkte zu verdienen. Dabei ist allerdings auch umstritten, ob sich reiche Länder damit von eigenen Klimaanstrengungen freikaufen.
Wie groß das Potenzial eines integrierten Ansatzes von Klima- und Naturschutz gerade auch in Verbindung mit dem Ziel ist, 30 Prozent der Erde unter Schutz zu stellen, zeigen aktuelle Studien.
Gigatonnen Kohlenstoff in artenreichen Ökosystemen
Der brasilianische Nachhaltigkeitsforscher Bernardo Strassburg und seine Kollegen errechneten im Rahmen einer Studie, die im Herbst vergangenen Jahres in Nature erschienen ist, dass mit einer Renaturierung von 15 Prozent der weltweit bedeutsamsten Flächen rund 300 Gigatonnen Kohlendioxid gebunden werden können. Zum Vergleich: Seit Beginn der industriellen Revolution im 18. Jahrhundert wurden global nach Schätzungen etwa 550 Gigatonnen Kohlenstoff emittiert.
Gleichzeitig könnten der Studie zufolge so mehr als 60 Prozent der Arten gerettet werden, die sonst aussterben würden. „Unsere Ergebnisse unterstreichen rechtzeitig zu den bevorstehenden Gipfeln der UN-Konventionen für Klima, Biodiversität und Wüstenbildung die Vorteile einer gemeinsamen Planung und Umsetzung von Klima- und Biodiversitätslösungen“, sagt Strassburg.
Auch ein UN-Bericht zu den Synergien zwischen Klima – und Biodiversitätsschutz zeigt auf, dass bei der richtigen Auswahl der Schutzgebiete enorme Mengen Kohlenstoffe gebunden und gleichzeitig wesentliche Beiträge im Kampf gegen das Artensterben geleistet werden können.
Die Studie errechnete, dass mit der Verwirklichung des von Naturschützern und einer Gruppe ambitionierter Staaten angestrebten Ziels, 30 Prozent der Erdoberfläche unter Schutz zu stellen, bei Auswahl von gleichermaßen biodiversitäts- und kohlenstoffreichen Gebieten zugleich 500 Gigatonnen Kohlenstoff eingespart und sogar 95 Prozent der Arten erhalten werden können.
Diese gewaltige Größenordnung ist keineswegs hypothetisch: Denn die Natur nimmt schon bisher einen erheblichen Teil menschlicher Kohlendioxid-Emissionen auf. Von den 550 Gigatonnen Kohlenstoff, die seit Beginn der industriellen Revolution in der Mitte des 18. Jahrhunderts emittiert wurden, sind nur 280 Gigatonnen in der Atmosphäre verblieben. Das heißt: Etwas die Hälfte des Ausstoßes an CO2 hat in Landlebensräumen wie Mooren und Wäldern und in den Ozeanen die Natur absorbiert.
Mangroven und Sümpfe als Schlüssel
Doch diese Fähigkeit schwindet. Brennende Wälder setzen Kohlendioxid frei und die Anzeichen mehren sich, dass der wärmere Ozean von der Senke zur Quelle des Treibhausgases wird. “Wird die Fähigkeit der Natur weiter beschädigt, Kohlenstoff zu binden, landet er in der Atmosphäre”, warnen internationale Wissenschaftlerïnnen und Naturschützerïnnen in einem gemeinsamen Appell, die Klima- und Biodiversitätskrise gemeinsam anzugehen.
Sie beziehen sich auf eine aktuelle Studie, in der die Menge des Kohlenstoffs ermittelt wurde, der trotz der großflächigen Umwandlung von etwa der Hälfte der Erdoberfläche für menschliche Nutzung in den verbliebenen Ökosystemen noch gebunden ist.
Wir glauben, dass Nature-based Solutions der Königsweg zu mehr Klimaschutz und Biodiversitätsschutz sind. (Georg Schwede, Campaign for Nature)
„Weltweit enthalten Ökosysteme, die stark von menschlicher Landnutzung betroffen sind, mindestens 260 Gigatonnnen Kohlenstoff, wobei die Dichte in Moorgebieten, Mangroven, Urwäldern und Sümpfen besonders hoch ist“, heißt es darin. „Um die Klimaziele zu erreichen, müssen wir diese unwiederbringlichen Kohlenstoffpools schützen“, fordern die Autorïnnen um die US-Wissenschaftlerin Allie Goldstein.
Werden diese verbliebenen Ökosysteme aber weiter beschädigt oder zerstört, trifft das das Klima doppelt: Durch die Freisetzung des gespeicherten Kohlenstoffs und durch den Verlust der Fähigkeit, Kohlenstoff künftig binden zu können.
So hat der brasilianische Amazonas-Regenwald einer Studie zufolge in den letzten zehn Jahren mehr Kohlenstoff freigesetzt, als er gespeichert hat. Die Beschädigung der ökologischen Funktionsfähigkeit der Wälder war der demnach für einen dreimal größeren Kohlenstoffverlust verantwortlich als die Abholzung.
“Die Wiederbegrünung des Planeten und die Vermeidung der Zerstörung intakter natürlicher Systeme sind nachweislich ein effektiver Weg, um 37 Prozent der Kohlenstoffemissionen einzusparen, die notwendig sind, um die Klimaziele bis 2030 zu erreichen”, heißt es im Plädoyer der Wissenschaftlerïnnen und Naturschützerïnnen für einen umfassenden Ansatz zum Klima- und Biodiversitätsschutz. „In Verbindung mit einer (…) starken Reduzierung des Verbrauchs fossiler Brennstoffe sind natürliche Klimalösungen der Schlüssel, um bis 2050 Kohlenstoffneutralität zu erreichen.“
Schulterschluss in der Wissenschaft
Das sieht auch Georg Schwede so, der der Europachef der Campaign for Nature, die über ihren privaten Stifter Hansjörg Wyss bis 2030 eine Milliarde Dollar zur Rettung der Biodiversität bereitstellt. „Wir glauben, dass Nature-based Solutions der Königsweg zu mehr Klimaschutz und Biodiversitätsschutz sind“, sagt Schwede im Gespräch mit Countdown Natur.
Auch institutionell tut sich etwas auf dem Weg zum Brückenschlag bei der Bekämpfung der beiden Mega-Krisen Klimawandel und Artensterben. Im Dezember fand erstmals ein gemeinsamer viertägiger Expertenworkshop von Weltbiodiversitätsrat IPBES und Weltklimarat IPCC statt.
Fünfzig weltweit führenden Wissenschaftlerïnnen aus den Bereichen Klimaforschung und Biodiversitätsforschung wollten darin gemeinsame Ansätze zum Schutz von Klima und Artenvielfalt erarbeiten. Der Expertenbericht wird in Kürze erwartet. “Die besten Lösungen für den Klimaschutz kommen aus der Natur”, sagt IPBES-Generalsekretärin Anne Larigauderie im Interview von Countdown Natur.
Dass die beiden führenden Wissenschaftsgremien für Klima und Biodiversität erst jetzt auf hochrangiger formaler Ebene den Schulterschluss proben, kann erstaunen. Die Schwesterorganisationen sind beide beim “Erdgipfel” in Rio als Antwort auf die globale Öko-Krise auf den Weg gebracht worden. Sie fallen damit auch gemeinsam unter die Rio-Prinzipien, in denen die Staaten zur Zusammenarbeit aufgerufen werden, “um die Gesundheit und die Integrität der Ökosysteme der Erde zu schützen und wiederherzustellen.” Doch während es den IPCC bereits seit 1988 gibt, wurde IPBES erst 2012 ins Leben gerufen. Neun Jahre später kommt nun die eigentlich überfällige Zusammenarbeit in Fahrt.
Finanzschub für die Biodiversität?
Für den Biodiversitätsschutz könnte der Rückenwind für das Konzept der natur-basierten Lösungen einen entscheidenden Schub auf dem Weg bringen, das vom IBPES prognostizierte Aussterben von einer Million Tier- und Pflanzenarten bis zur Mitte des Jahrhunderts zu verhindern. Die wechselseitige Anbindung der beiden wichtigsten umweltpolitischen Prozesse hilft ganz besonders dem schwächeren Glied.
Es ist dringend notwendig, die biologische Vielfalt in den Vordergrund der Diskussionen über Klimaschutz und Klimaanpassung zu rücken. (Hoesung Lee, IPCC)
Und das ist – auch mit Blick auf die Finanzierung – eindeutig der Schutz der biologischen Vielfalt. Denn für Klimaschutz wird weltweit ein Vielfaches mehr an Geld ausgegeben als für den Schutz der Biodiversität. Wenn etwa Moorschutz oder Schutz von tropischen Regenwäldern nicht nur aus den kleinen Töpfen für Naturschutz finanziert werden müssten, sondern als Klimaschutzmaßnahmen anerkannt wären, könnten solche Projekte in viel größerem Umfang umgesetzt werden.
Wenn “Nature-based Solutions” weiter Aufwind haben, könnte der Klimagipfel für den Biodiversitätsschutz ebenso wichtig werden wie der eigentliche Naturschutzgipfel in Kunming.
Die Zeichen für eine bessere Finanzierung des Naturschutzes als Teil des Klimaschutzes und damit für einen Schub auch für die Weltbiodiversitäts-Konferenz in China stehen nicht schlecht. Viele Staaten zeigen sich offen für den Ansatz der Nature-based Solutions. Auch der Vorsitzende des Weltklimarates, Hoesung Lee, betont: "Es ist dringend notwendig, die biologische Vielfalt in den Vordergrund der Diskussionen über Klimaschutz und Klimaanpassung zu rücken.“
Auch beim von US-Präsident Joe Biden einberufene virtuelle Klimagipfel wurde das Thema Mitte April prominent diskutiert, ebenso wie bei einem von der britischen Regierung einberufenen virtuellen Treffen von Klima- und Entwicklungsländern.
Milliardensubventionen für Naturzerstörung
Der britische Premier Boris Johnson kündigte ein Fünfjahres-Klimaschutz-Programm über drei Milliarden Pfund an, mit dem gleichzeitig der Klimawandel bekämpft und die Natur geschützt und Ökosysteme restauriert werden sollen. Beim von ihm organisierten One-Planet-Gipfel kündigte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron an, dass künftig 30 Prozent der französischen Klimaschutzausgaben in klimawirksamen Naturschutz fließen sollten.
Wie bedeutsam die Einbeziehung des Klimaschutzes für die Finanzierung des Artenschutzes ist, zeigt eine von verschiedenen Think-tanks und Umweltgruppen vorgelegte Studie. Sie beziffert die Kosten zur Überwindung der Biodiversitätskrise auf jährlich 700 bis 900 Milliarden US-Dollar. Tatsächlich fließen diesen Zwecken der Untersuchung zufolge aber nur weniger als 140 Milliarden zu.
Die Finanzierungslücke beträgt mithin 600 bis 800 Milliarden Dollar pro Jahr. Sie kann der Untersuchung zufolge zum großen Teil gegenfinanziert werden, indem umweltschädliche Subventionen abgebaut werden.
Es verspricht auch, der billigste und kürzeste Weg zurück zu einer prosperierenden Weltwirtschaft zu sein. (IWF)
Denn allein in biodiversitätsschädliche Zahlungen von Regierungen an Fischerei, Land- und Forstwirtschaft fließen der Analyse zufolge jährlich mehr als 500 Milliarden Dollar. Nicht inbegriffen sind in diesen Summen die ebenfalls schädlichen Subventionen für fossile Energieträger, die mit weiteren 500 Milliarden Dollar berechnet wurden. Werden Ankündigungen umgesetzt, die Subventionen abzubauen und werden die freiwerdenden Mitteln für Umweltschutz aufgewandt, wäre das Finanzierungsproblem des Naturschutzes gelöst.
Der Währungsfonds gibt Schützenhilfe
Schützenhilfe in der Finanzierungsfrage liefert auch eine neue Analyse des Internationalen Währungsfonds (IWF). Sie kommt zu dem Ergebnis, dass Ausgaben für saubere Energie und den Naturschutz die Wirtschaftskraft eines Landes weitaus stärker steigern als Investitionen in fossile Brennstoffe und für die Natur schädliche Aktivitäten wie die industrielle Landwirtschaft.
Die Studie analysiert, dass der positive Effekt ökologischer Investitionen – von emissionsfreien Kraftwerken bis hin zum Wildtierschutz – für das Bruttoinlandsprodukt gegenüber Investments in fossile Energie oder industrielle Landwirtschaft um zwei- bis siebenmal höher liege. Ausgaben für den Erhalt von Ökosystemen brächten im Laufe von fünf Jahren bis zu siebenmal so viel zurück wie der investierte Betrag. Grundlage der Studie sind Erkenntnisse über die Ausgaben in 40 Ländern in Nordamerika, Europa, Afrika, Asien und Lateinamerika über die letzten 30 Jahre.
“Die übergreifende Schlussfolgerung aus dieser Studie ist, dass die Ausrichtung der wirtschaftlichen Anreize nach der Pandemie auf Investitionen, die die Dekarbonisierung durch naturbasierte Lösungen begünstigen, nicht nur gut für den Planeten ist”, bilanzieren die Autorïnnen des Reports. “Es verspricht auch, der billigste und kürzeste Weg zurück zu einer prosperierenden Weltwirtschaft zu sein.”
Schwund der Artenvielfalt als Sicherheitsrisiko
Vor dem IWF hatte auch bereits eine zweite Schlüsselinstitution des weltweiten Kapitalismus auf die Rolle intakter Natur für die Ökonomie hingewiesen – das Weltwirtschaftsforum (WEF) im schweizerischen Davos.
In seinem Globalen Risikobericht des vergangenen Jahres führt das WEF den Verlust von Biodiversität und den Zusammenbruch der Ökosysteme unter den Top-5-Bedrohungen für die Menschheit bereits in den nächsten zehn Jahren. Mehr als die Hälfte des gesamten Bruttoinlandsprodukts der Erde hänge von der Natur und ihrer Leistungen ab. Die Bekämpfung der Öko-Krise durch “natur-positive” Maßnahmen ihrerseits könne einen Wirtschaftsschub auslösen, mit dem sich weltweit in den nächsten zehn Jahren fast 400 Millionen Arbeitsplätze schaffen ließen.
Diese Berechnungen wurden noch ohne die Kosten der Pandemie angestellt, die nach Überzeugung von Wissenschaftlerïnnen ebenfalls Ausdruck des gestörten Mensch-Natur-Verhältnisses ist.
Warnungen vor Etikettenschwindel
Wissenschaftlerïnnen warnen allerdings auch davor, dass einige Initiativen, die sich als naturbasierte Lösungen bezeichnen, dies nur vortäuschen. “Das NbS-Konzept wurde vereinnahmt, um die unveränderte Nutzung fossiler Brennstoffe zu entschuldigen, und speziell das Pflanzen von Bäumen wurde als "Patentlösung" für den Klimawandel überbewertet”, kritisiert beispielsweise die Nature-based Solution Initiative aus Oxford.
Gemeint sein dürften Planspiele, wie die von Forschern der ETH Zürich, die errechneten, dass ein Gebiet von der Größe der USA aus Klimaschutzgründen aufgeforstet werden könnte. Einmal herangewachsen, könnten diese neuen Wälder 205 Milliarden Tonnen Kohlenstoff speichern. Aus den Reihen des Weltklimarates IPCC kommen immer wieder ähnliche Vorschläge.
Solche Projekte lenken nach Einschätzung der Oxford-Initiative von der Notwendigkeit der Dekarbonisierung der Energiesysteme ab und ignorierten die Bedeutung anderer Ökosysteme als Wald ebenso wie die vielfach nachteilige Auswirkungen auf lokale Gemeinschaften und die Biodiversität. “NbS können einen wichtigen Beitrag zum Erreichen von Netto-Null-Emissionen leisten, allerdings nur in Kombination mit einer drastischen Senkung der Treibhausgasemissionen”, stellt die Initiative klar.
Auch der Weltbiodiveritätsrat IPBES warnte in seinem Globalen Bericht zum ökologischen Zustand der Erde vor falsch verstandenen Natur-Lösungen. Er stellt fest, dass etwa großflächige Bioenergie-Plantagen und die weit verbreitete Aufforstung von Nicht-Wald-Ökosystemen negative Auswirkungen auf die biologische Vielfalt hätten und die Nahrungs- und Wassersicherheit sowie die lokalen Lebensgrundlagen bedrohen würden, “auch durch die Verschärfung sozialer Konflikte".
Konflikt um EU-Klimaziel
Bei allen Naturschutzmaßnahmen ist erheblicher ökologischer Sachverstand vonnöten: Werden bei Aufforstungen die falschen Baumarten angepflanzt oder wird bei der Wiedervernässung von Mooren falsch vorgegangen, kann erheblicher Schaden entstehen. Die Flora kann darunter leiden, oder es wird durch Fäulnisprozesse Methan freigesetzt, ein noch potenteres Treibhausgas als Kohlendioxid. Hochproblematisch wäre es auch, wenn wertvolle natürliche Biotope, die nicht viel Kohlenstoff speichern, zugunsten von solchen mit hohem CO2-Effekt zerstört würden.
Die Oxford-Initiative fordert deshalb Menschenrechte als integralen Bestandteil jeder Maßnahme, die das Label “Nature-based Solution” trägt: “NbS werden mit dem vollen Engagement und der Zustimmung indigener Völker und lokaler Gemeinschaften, einschließlich Frauen und benachteiligter Gruppen, umgesetzt”. Doch die Mitsprache Indigener sei noch nicht einmal bei den Umweltgipfeln der Vereinten Nationen ausreichend sichergestellt, kritisieren deren Interessenvertreter.
Wegen der Gefahr des Missbrauchs ist auch in der Umweltbewegung umstritten, in welchem Ausmaß Aufforstung und Moorschutz bei den Klimazielen angerechnet werden können. Im EU-Parlament setzten unter anderem die Grünen im April für das Klimaziel der Europäischen Union durch, dass die Menge Kohlendioxid, die aus Naturschutzmaßnahmen angerechnet werden kann, deutlich begrenzt wird.
Dahinter steht die Sorge, dass Mitgliedsländer ihre Emissionen aus Industrie, Gewerbe, Verkehr und Haushalten mit Hinweis auf Naturschutzmaßnahmen nicht ausreichend senken könnten. Erst die Beschlüsse des UN-Naturschutzgipfels im Oktober in Kunming und des UN-Klimagipfels im November in Glasgow werden zeigen, ob sich naturbasierte Lösungen weltweit durchsetzen.
Im Projekt „Countdown Natur“ berichten wir mit Blick auf den UN-Naturschutzgipfel über die Gefahren für die biologische Vielfalt und Lösungen zu ihrem Schutz. Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden von der Hering Stiftung Natur und Mensch gefördert. Sie können weitere Recherchen mit einem Abonnement unterstützen.